Die große Insolvenzwelle bleibt wohl aus

Die große Insolvenzwelle bleibt wohl aus

veröffentlicht durch die Rheinische Post in der Sonderbeilage "Sanierung & Beratung" - Sanierungsberater und Insolvenzexperten diskutieren beim RP-Wirtschaftsforum über die Folgen der Corona-Krise

Das RP-Forum „Sanierung und Beratung“ gehört zu den etablierten und geschätzten Veranstaltungen im Reigen der Wirtschafts- und Finanzforen dieser Zeitung. In diesem Jahr steht das Forum besonders stark im Fokus: Insolvenzverwalter und Sanierungsberater sollten wohl einen intensiven Einblick ins aktuelle Wirtschaftsgeschehen haben, vor allem mit Blick auf die bange Frage: Stehen wir vor einer großen Pleitewelle, nachdem die Corona-Krise ganze Branchen auf den Kopf gestellt hat?

Die Experten können zumindest eine leichte Entwarnung geben: So dramatisch, wie es manchmal ausgemalt wird, kommt es wohl nicht, aber … Doch der Reihe nach. Georg Kreplin (Kreplin & Partner) hält es für gefährlich, eine große Welle herbeizureden. „Ich glaube nicht, dass die Pleiten in dem Maße kommen, wie es derzeit häufig prognostiziert wird.“ Wohl dürfte die Zahl der Insolvenzen ansteigen. „Aber es ist viel Geld im Markt.“ Investoren sind daher bereit, auch weiterhin Risiken einzugehen. Kreplin verweist zudem auf die Rolle des Staates. Er werde bald merken, dass viele Unternehmen die Hilfskredite nicht zurückzahlen können. „Da wird es Nachjustierungen geben, um die Insolvenzrisiken zu verringern.“

Allerdings seien die Schulden nun mal da, bemerkt Dr. Paul Fink (FRH Fink Rinckens Heerma). „Die Verbindlichkeiten müssen irgendwann bereinigt werden.“ Spätestens wenn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ausläuft, werde es auch wieder mehr Insolvenzverfahren geben. Fink rechnet mit einer „großen Bereinigung der Passiva ab Frühjahr“. Für Druck sorgen auch die Probleme in ganzen Branchen, etwa dem Tourismus oder der Autoindustrie. „Unser Beitrag wird ab dem Frühjahr mehr gefragt sein“, ist der Sanierungsexperte überzeugt.

Wilken Beckering (Beiten Burkhardt) rechnet bereits ab Oktober mit einer leichten Zunahme der Pleiten. Denn ab dann gilt die Aussetzung der Antragspflicht nur noch für Unternehmen, die zwar überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind. „Es werden Unternehmen aus dem Markt gehen, die sich bislang vor der Insolvenz gedrückt haben.“ Das könne dann zu einer „kleineren Welle“ führen, meint Beckering, aber auch er geht davon aus, dass die Regierung hier per Nachjustierung bei der Rückzahlung der Hilfskredite noch eingreift.

Bislang habe die Bundesregierung unterm Strich vieles richtig gemacht, merkt Prof. Dr. Peter Neu (D‘Avoine Teubler Neu) an. So habe sie zum Beispiel mit dem Kurzarbeitergeld Druck aus dem Markt genommen. Auch Neu rechnet nicht damit, dass es zu einem plötzlichen Anstieg der Pleiten kommt, wenn die Insolvenzantragspflicht wieder greift. Treffen könnte es – so Neu – kleinere Unternehmen, die sich kein Kapital beschaffen können. „Mittelständische Unternehmen werden aber gut durch die nächsten Jahre kommen. Interessant wird es aber, wenn sie die Hilfskredite zurückzahlen müssen.“

Auch 2009 sei im Zusammenhang mit der Finanzkrise eine große Insolvenzwelle vorhergesagt worden und dann doch nicht gekommen, fügt Dr. Dirk Andres (AndresPartner) hinzu. Er sieht eine andere Problematik: „Mittelständler machen sich massiv Gedanken, ob sie Hilfskredite annehmen dürfen und sollen, wenn sie davon ausgehen, dass sie diese vielleicht nicht zurückzahlen können.“Viele Unternehmer würden sich grundsätzlich fragen, ob ihr Geschäftsmodell überhaupt noch funktioniert. Weiteres Problem: Viele Mittelständler hatten bislang nie Kredite aufnehmen müssen. Das stelle jetzt auch die Finanzierer vor große Herausforderungen: „Banken tun sich extrem schwer, KfW-Kredite zu vergeben. Die Verfahren dauern oft Monate.“ Die Kredite sind zwar zu 80 bis 90 Prozent staatlich gesichert, für den Rest gehen aber die Banken ins Risiko.

Fink sieht ebenfalls eine „große Ungleichheit“ darin, wie die staatlichen Hilfsmaßnahmen in den Markt fließen. Gerade Unternehmen mit guter Eigenkapitalbasis seien von der Zurückhaltung der Banken betroffen, ebenso Start-ups. „Das kann zulasten des Mittelstandes insgesamt gehen.“

„Viele mittelständische Unternehmen sind solide aufgestellt, aber der Zugang zu KfW-Mitteln ist ihnen oftmals verbaut“, beklagt auch Dr. Martin Rappert (Beiten Burkhardt), „schnelle Hilfe gibt es für sie nicht“. Aufgrund der allgemeinen Unsicherheit sei auch der Weg verbaut, Investoren zu gewinnen. Einige Unternehmer setzen nun nach Beobachtung von Rappert auf eine V-förmige Erholung. Kommt diese aber nicht, könne es zu Problemen kommen.

Spannend werde es erst im nächsten Jahr, meint auch Carsten Häming (Corporate Finance Mittelstandsberatung). Wenn das Eigenkapital der Unternehmen abschmilzt und Verluste durch die Krise zu einer zusätzlichen Verschuldung führen, werde das Rating schlechter – eine Abwärtsspirale. Insbesondere Branchen wie Events, Hotelle­rie und Gastronomie müssten ihre Geschäftsmodelle komplett überprüfen.

Wenn auch Dr. Stefan Krüger (Mütze Korsch) nicht mit einer großen Pleitewelle rechnet, sieht er doch einige Branchen wie zum Beispiel Automotive stärker betroffen. Sie hätten zusätzlich zur Corona-Krise auch strukturelle Probleme zu lösen. Zudem belasten Nachrichten, nach denen der Warenkreditversicherer Euler Hermes plant, den Versicherungsschutz für Unternehmen mit schwacher Bonität zum Jahresende auslaufen zu lassen. „Die Bundesregierung sollte hier bald tätig werden und den Schutzschirm für Warenkreditversicherer verlängern“, fordert Krüger.

Grundsätzlich hält Georg Kreplin zu viele staatliche Eingriffe für kontraproduktiv. „Ohne eine Marktbereinigung wissen auch gut laufende Unternehmen nicht, ob ihre Abnehmer oder Lieferanten langfristig noch tätig sind.“ Sie könnten – so die Befürchtung – durch Zahlungs- oder Lieferverzüge selbst in Schwierigkeiten geraten.

Auch die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes bis Ende 2021 wird kritisch gesehen, zum Beispiel von Prof. Dr. Peter Neu: „Viele Unternehmen hatten schon vor Corona strukturelle Probleme, die eine personelle Anpassung erforderlich machen. Diese Probleme werden jetzt übertüncht.“ Im breiten Mittelstand sei die Krise noch nicht angekommen, meint Carsten Häming. Vielmehr müssten einige Branchen, die von den Corona-Maßnahmen stark betroffen sind, ihre Geschäftsmodelle neu erfinden.

Dr. Martin Rappert weist darauf hin, dass 2021 ein Wahljahr ist. Eine sachorientierte Politik müsse auch unpopuläre Maßnahmen zulassen. Aber das koste Arbeitsplätze. „Das wird schwierig in einem Wahljahr.“