RP-Wirtschaftsforum Sanierung und Beratung

Restrukturierung: Alles wird anders

veröffentlicht durch die Rheinische Post

Sie wird im deutschen Insolvenzmarkt alles verändern – aber noch kann niemand abschätzen, welche weitreichenden Folgen die neue EU-Richtlinie über Präventive Restrukturierungsrahmen hierzulande haben wird.

Denn die Richtlinie der Europäischen Union gilt zwar seit Juli 2019, in Deutschland gibt es seit wenigen Tagen einen ersten Gesetzentwurf, der zum Zeitpunkt des RP-Forums noch nicht bekannt war. Dabei drängt die Zeit, denn bis Juli 2021 muss jedes Land die Vorgaben der Richtlinie umgesetzt haben. Ein schwieriges Unterfangen, weil die EU-Mitgliedsländer angesichts von zahlreichen Optionen einen großen Spielraum für die konkrete Ausgestaltung haben.

Doch besonders für Deutschland wird das neue Gesetz spannend, darin sind sich die Teilnehmer des RP-Forums „Sanierung und Beratung“ einig. Denn bei der neuen Richtlinie geht es vor allen Dingen darum, wie ein vor- oder außerinsolvenzliches Verfahren gestaltet werden kann – die deutsche Rechtsordnung sieht das bislang nicht vor, denn die bisher verwendeten Rettungsinstrumente sind erst dann für Schuldner einsetzbar, wenn tatsächlich ein Antrag auf Insolvenz gestellt wurde.

Die neue EU-Richtlinie sieht vor, kriselnden Unternehmen vor einer Insolvenz zu helfen. Dazu gehört unter anderem, dass Schuldner die Kontrolle über ihr operatives Geschäft behalten, Einzelvollstreckungsmaßnahmen für bis zu zwölf Monate ausgesetzt werden und Gläubiger ihre Forderungen nicht durchsetzen können (unter anderem dürfen Verträge nicht gekündigt und Leistungen nicht verweigert werden).

„Hier geht es um die Umsetzung eines komplett neuen Regulierungsrahmens. Für mich stellt sich daher die Frage, ob sich die Richtlinie in der Praxis bewährt, insbesondere im Hinblick auf die Haftung der Geschäftsführer“, betont Wilken Beckering von Beiten Burkhardt. Eifrig diskutiert wird im RP-Forum besonders die Frage, wie der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie umsetzen wird. „Welche Eingriffstiefe wird es geben? Kann ich nur die Passivseite umstrukturieren oder kann ich auch in bestehende Vertragsverhältnisse eingreifen? Gibt es eine Chance für Insolvenzverwalter, der Aufpasser zu sein? Und sind Lieferanten weiterhin verpflichtet zu liefern?

Das könnte dann ein Brandbeschleuniger für das Verfahren sein“, wirft Dr. Dirk Andres (AndresPartner) einige Fragestellungen auf. „Und: Sind dann auch Eingriffe in die Arbeitnehmerrechte möglich? Wenn etwa das Geld fehlt, um einen Personalabbau zu finanzieren, was passiert dann? Geht das ohne Insolvenzgeld oder müssen dann die Banken eingreifen?“

„Alles ist offen“, skizziert Georg Kreplin (Kreplin & Partner) die Ausgangslage. „Die Intention der EU ist es, die Restrukturierung zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Das ist zwar für die Regierung schön, denn es gibt dann weniger Insolvenzverfahren. Aber: Das normale Insolvenzverfahren wird weiter seine Berechtigung haben. Und das Moratorium, Liquiditätseffekte auch ohne Insolvenzgeld zu erzielen, wird in der Praxis oft nicht möglich sein.“ Prof. Dr. Peter Neu ist skeptisch: „Das wird spannend sein zu sehen, wie der Gesetzgeber ein gesundes Modell finden wird. Um den Präventiven Restrukturierungsrahmen nutzen zu können, muss eine Insolvenz schon sichtbar sein, aber noch nicht eingetroffen sein. Das ist die Kunst: Ausreichend weit weg von einer Insolvenz zu sein und dennoch in Gläubigerrechte eingreifen zu können.“

Dr. Stefan Krüger (Mütze Korsch) ist deshalb davon überzeugt: „Die Insolvenz ist damit nicht tot. Der neue Rahmen ist eher ein zusätzliches Tool im Werkzeugkasten eines Restrukturierers.“ Er macht sich vor allem um die Fortführung von Verträgen Sorge, wie sie die neue Richtlinie vorsieht. „Das kann etwa dazu führen, dass aus Finanzierersicht die Bank früher als ihr eigentlich lieb ist die Reißlinie ziehen muss, wenn zum Beispiel der Kontokorrentkredit nicht ausgeschöpft ist. Und wenn gesetzliche Regelungen stark zu Lasten der Finanzierer erfolgen, kann dies gegebenenfalls auch zu Insolvenzen von Finanzierern führen“, warnt er. „Hier sollte der Gesetzgeber besonderes Augenmaß haben, sonst haben wir ein Problem.“

Zustimmung gibt es hierzu von Dr. Dirk Andres: „Diese EU-Richtlinie passt nicht zur EU-Richtlinie im Bankenwesen. Die Intention der Politik ist klar: Sie will eine Insolvenzwelle vermeiden und möglichst viele Instrumente an die Hand geben. Ob das in der Praxis tatsächlich hilft, ist eine andere Frage. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Umsetzung der Richtlinie schnell erfolgt.“

„Corona beschleunigt das Gesetzgebungsverfahren, denn der Regierung ist daran gelegen, vor allem statistisch die befürchtete Insolvenzwelle in den Griff zu bekommen“, erwartet Georg Kreplin. „Ich gehe daher davon aus, dass wir zum 1. Januar einen deutschen Restrukturierungsrahmen haben.“

Auch Dr. Paul Fink (FRH Fink Rinckens Heerma) rechnet damit, dass das Gesetz in Kürze vorgestellt wird, „aber es ist fraglich, ob ein vorgelagertes Verfahren hilft. Das wird auf jeden Fall Auswirkungen auf unsere Branche haben“. Dennoch sieht er positive Aspekte: „Das neue Gesetz könnte die Voraussetzung sein, um noch planbarer in ein Insolvenzverfahren zu gehen. Das wird die Zusammenarbeit zwischen Beratern und Insolvenzverwaltern verstärken!“ Dr. Martin Rappert (Beiten Burkhardt) verweist ebenfalls auf Vorteile: „Die Bereitschaft der Unternehmer, rechtzeitig eine vernünftige Umstrukturierung anzugehen, um eine Insolvenz zu vermeiden, wird zunehmen – und die Zahl der Fälle mit Restrukturierung wächst.“ Dr. Stefan Krüger mahnt, das Thema international zu betrachten, da jedes EU-Land die Richtlinie anders umsetzt. Die Holländer etwa haben ihre Richtlinie bereits umgesetzt. „Wir werden einen Insolvenztourismus in Europa sehen“, prophezeit er. „So mancher Berater könnte dazu raten, einen Firmensitz ins Ausland zu verlegen, um dort alle Möglichkeiten zu nutzen. Mir schwant da Böses.“ „Es wird auf jeden Fall ein neues Instrument sein, das das Stigma der Insolvenz vermeidet“, schaut Prof. Dr. Peter Neu auf das Positive. „Für Unternehmer ist das die Möglichkeit, die Bankverbindlichkeiten zu regeln – daher ist der neue Rahmen vor allem für Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad interessant.“ „Wir raten daher vor allem Mittelständlern, sich frühzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen“, ergänzt Carsten Häming (Corporate Finance Mittelstandsberatung). „Zumal der Unternehmer mit dem neuen Rahmen deutlich mehr Kontrolle behalten kann – und das böse Wort Insolvenz vermeidet“, ergänzt Wilken Beckering.

Dr. Stefan Krüger hat dazu einen Rat: „Unternehmer sollten frühzeitig professionelle Berater hinzunehmen, denn hier geht es ja auch um Werte von Gläubigern. Außerdem wird immer ein Finanzierer benötigt.“ „Unternehmen, die jetzt kriseln, brauchen vor allem Eigenkapital. Die Sanierung ist deshalb immer die erste Maßnahme, und es gibt natürlich noch die Möglichkeit des Verkaufs“, so Carsten Häming.

Dr. Paul Fink ist vor diesem Hintergrund der Auffassung, dass „der Rahmen in erster Linie für größere Unternehmen geeignet sein wird, denn bei vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen wird es nicht funktionieren. Als neues Instrument in unserem Baukasten könnte es daher der Einstieg in ein Insolvenzverfahren sein und dazu führen, dass die Insolvenz ein weiteres Stück von ihrer Unberechenbarkeit verliert.“

Georg Kreplin appelliert an die Verantwortung der Berater: „Wenn der neue Rahmen nur als zusätzliches Werkzeug gesehen wird, um Geld zu verdienen, dann funktioniert das nicht. Hier muss man an ihr Verantwortungsbewusstsein appellieren, das Instrument vernünftig einzusetzen.“ Zustimmung gibt es dazu von Prof. Dr. Peter Neu: „Ich würde mir wünschen, dass der Rahmen nur für Fälle mit entsprechender Größe eingesetzt wird. Es ist deshalb wichtig, dass der Gesetzgeber die Zugangsvoraussetzungen für den Rahmen genau definiert.“ In der Pflicht sieht Dr. Martin Rappert zudem die Finanzierer: „Manche Kreditversicherer kündigen reflexartig. Aber das neue Instrument wird nur Erfolg haben, wenn alle Marktteilnehmer konstruktiv zusammenarbeiten.“