In zehn Schritten aus der Krise

Welche Verfahren zur Unternehmensbewertung von Startups dienen

Startups benötigen zur Erreichung ihrer Wachstumsziele oftmals die Unterstützung eines externen Investors. Sobald das Gründerteam einen interessierten Kapitalgeber für ihr Startup gefunden hat, müssen sich beide Parteien hinsichtlich der Bedingungen einer potentiellen Beteiligung einig werden. Im Rahmen der Vertragsverhandlung nimmt vor allem die Anteilsverteilung eine gewichtige Stellung ein. Für Gründer zählt dabei vorrangig die Frage wie viel Kontrolle sie abgeben müssen, während Investoren vorausschauend ihre Rendite zum Zeitpunkt des Desinvestments im Blick haben. Rechnerisch ergibt sich der Anteil, den der Investor am Startup erhalten wird, durch die Division von benötigtem Kapital und der Unternehmenswert. Folglich ist die Unternehmensbewertung schon früh ein zentraler Diskussionspunkt in den Verhandlungsgesprächen. Doch wie kann der Unternehmenswert eines Startups eigentlich bestimmt werden? Welche Verfahren werden in der Praxis angewandt? Diese Fragen möchten wir von der Corporate Finance Mittelstandsberatung GmbH (CF-MB) für Gründer und Gründungsinteressierte im Folgenden beantworten.

Herausforderungen bei der Unternehmensbewertung von Startups

Traditionell beeinflussen Wirtschaftsprüfer die Bewertungspraxis in Deutschland durch ihren IDW Standard Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen maßgeblich. Der Ansatz objektivierte Regeln für die Bewertung anzuwenden, scheitert allerdings bei Startups. Klassische Unternehmensbewertungen werden je nach angewendetem Bewertungsverfahren, auf Grundlage von Vergangenheitswerten, Gegenwartswerten oder Zukunftswerten berechnet. Die Problematik in Bezug auf Startups bleibt jedoch in allen Fällen dieselbe: Es liegen für Startups signifikant weniger quantitative Daten vor, als dies bei etablierten Unternehmen der Fall ist. Insbesondere bei einer sehr kurzen Unternehmenshistorie sind keine oder nur unzureichend wenige Informationen zu Cashflows, Gewinnen, Umsätzen oder Marktdaten wie vergleichbaren Firmen oder Transaktionen verfügbar. Die kurze Unternehmenshistorie und das Fehlen quantitativer Informationen macht eine verlässliche Unternehmensbewertung anhand fundamentalanalytischer Verfahren wie der Discounted Cash Flow Methode oder dem Ertragswertverfahren folglich problematisch. Selbst wenn bereits Informationen vorliegen, so haben diese aufgrund der dynamischen Entwicklungen nur eine begrenzte Aussagekraft für den zukünftigen Erfolg des Unternehmens. Auch die Schätzungen der Gründer stellen keinen verlässlichen Anhaltspunkt für eine Bewertung dar, da Gründer ihre Erfolgschancen (oftmals mutwillig) überoptimistisch bewerten. Wissenschaft und Praxis haben bislang noch keine Antworten auf die bestehenden Probleme gefunden. Da zur Bewertung von Startups weder ein Börsenkurs vorliegt, der die heterogenen Meinungen des Marktes widerspiegelt, noch aussagekräftiges, quantitatives Datenmaterial zur Verfügung steht, wird in der Praxis auf pragmatische Lösungen zurückgegriffen. Mithilfe dieser pragmatisch orientierten Bewertungsverfahren kann ein Näherungswert bestimmt werden, welcher einen Bewertungskorridor vorgibt, innerhalb dessen die finale Festlegung zwischen Gründerteam und Investor ausgehandelt wird. Alternativ können Finanzierungsinstrumente eingesetzt werden, die eine Bewertung zeitlich nach hinten verschieben. So werden beispielsweise Convertable Loans in der Praxis immer beliebter. Gehen wir hingegen von dem Fall aus, dass eine Unternehmensbewertung auf Basis der verfügbaren Informationen sofort vorgenommen werden soll, bieten sich insbesondere die nachfolgenden sechs Verfahren an:

Die Daumenregel

Die Daumenregel besteht aus mehreren pragmatischen Ansätzen, die in Anbetracht einer mangelnden Informationslage in der Praxis zur einfachen und schnellen Entscheidungsfindung genutzt werden. Eine Methode, die in der Fachliteratur als Einfacher Verteilungssatz beschrieben wird, geht beispielsweise von dem Grundgedanken aus, dass sich die Anteile eines Unternehmens oftmals zu je einem Drittel auf das Gründerteam, das Management und die Investoren verteilen. Da bei Startups Gründer und Management häufig personenidentisch sind, besitzen diese einen entsprechend höheren Unternehmensanteil. Als Wert des Unternehmens wird nach dieser Methode das Dreifache des aufgenommenen Kapitals angenommen. Schwellenwertregeln und Investitionsspannen stellen eine alternative Variante der Daumenregel dar. Bei diesen Bewertungsmethoden nimmt der Kapitalgeber entweder eine vorab individuell festgesetzte Obergrenze für die Bewertung an oder legt einen nach oben und unten abgegrenzten, branchenabhängigen Bewertungsbereich fest. Die Verfahren der Daumenregel sollten aufgrund ihrer sehr starken Simplifizierung komplexer Zusammenhänge und mangelnder Berücksichtigung der Heterogenität der Investitionsobjekte lediglich komplementär zu anderen Bewertungsmethoden herangezogen werden.

Die Berkus Methode

Die Berkus Methode ist eine Bewertungsmethode für wachstumsorientierte Frühphasen-Startups, die Mitte der neunziger Jahre von dem Business Angel Dave Berkus entwickelt und 2016 an die aktuellen Marktentwicklungen angepasst wurde. In ihrer Grundform führt die Berkus Methode vier bis fünf immer gleiche Bewertungskategorien auf (abhängig davon ob das Startup bereits mit dem Vertrieb seines Produktes beziehungsweise seiner Technologie begonnen hat oder nicht). Jede dieser startup-typischen Bewertungskategorien wird anschließend ein Wert zwischen 0 und 500.000€ zugewiesen. Ein Startup, welches mit der Berkus Methode bewertet wird, kann folglich einen maximalen Pre-Money-Wert von zwei Millionen vor dem Verkaufsstart respektive zweieinhalb Millionen nach dem Verkaufsstart erhalten. Die Berkus Methode stützt sich stets auf die Annahme, dass das Risiko in einem bestimmten Bereich sinkt, je besser das Startup in der dazugehörigen Kategorie abschneidet. Ein Unternehmen mit einem bereits funktionierenden Prototyp hat beispielsweise ein geringes Technologierisiko. Demnach wird ihm ein Wert zugesprochen, der sich am oberen Ende der Bewertungsskala befindet (z.B. 400.000€). Berkus weist im Rahmen seines letzten Kommentars zu der Bewertungsmethode jedoch darauf hin, dass das Verfahren zu starr sei und daher lediglich Empfehlungscharakter haben soll. Somit öffnet er seine Methode für die Möglichkeit auch branchen- und ortsspezifische Anpassungen vorzunehmen.

Die Risk Factor Summation Methode

Die Risk Factor Summation Methode ist ein Bewertungsverfahren, welches von den Ohio TechAngels entwickelt wurde. Im Unterschied zu den zuvor genannten Methoden nimmt die Risk Factor Summation Methode die Pre-Money-Bewertung vergleichbarer Unternehmen als Ausgangsbasis für die weitere Berechnung. Eine Peer-Group zu finden, kann sich bei Startups jedoch als große Schwierigkeit erweisen. Da junge Unternehmen oftmals in Nischenmärkten unterwegs sind oder ein neues (disruptives) Produkt entwickeln, ist es oftmals unmöglich Marktinformationen zu vergleichbaren Startups zu finden. Sollten jedoch vergleichbare Unternehmen gefunden werden, bildet die Risk Factor Summation Methode einen Durchschnittswert dieser Startups und nimmt diesen als Basiswert für die weitere Berechnung. In einem nächsten Schritt wird im Rahmen des Bewertungsverfahrens eine individuell erstellte Liste exogener Risikofaktoren erarbeitet, die den Wert des Zielunternehmens beeinflussen können. Hierzu gehören beispielsweise wettbewerbsbezogene, managementbezogene oder technologiebezogene Risiken. Jedem dieser verschiedenen Risikofaktoren wird hiernach ein unterschiedlicher Wert beigemessen. In den Fallbeispielen der einschlägigen Literatur werden Bewertungsabstufungen in Höhe von 250.000er-Schritten vorgenommen, je nachdem welche Ausprägung der einzelne Risikofaktor auf einer Skala mit den Werten -2, -1, 0, +1 und +2 aufweist. Einem Risikofaktor wird beispielsweise ein hoher positiver Geldbetrag (500.000 €) zugewiesen, wenn das entsprechende Risiko vom Investor als sehr gering (-2) eingestuft wird und vice versa. Bei einer risikoneutralen Bewertung wird kein Wert eingesetzt. Im abschließenden Rechenschritt werden die Werte der einzelnen Risikofaktoren zusammengerechnet und zum Ausgangswert der vergleichbaren Unternehmen hinzuaddiert beziehungsweise vom Ausgangswert der vergleichbaren Unternehmen subtrahiert. Hierzu ein Beispiel: Bei der Peer-Group Analyse wurde herausgefunden, dass der durchschnittliche Wert der Vergleichsunternehmen 2 Mio. € beträgt. In einem nächsten Schritt werden die Risiken ermittelt und es fällt auf, dass das zu bewertende Startup über ein sehr kleines Risiko verfügt gute Fachkräfte zu bekommen (+500.000 €), ein geringes Risiko aufweist sich schnell Marktanteile zu sichern (+250.000 €) aber wahrscheinlich von der Konkurrenz verklagt wird (-500.000€). Zählt man alle Werte zusammen, ergibt sich nach der Risk Factor Summation Methode ein Unternehmenswert von 2,25 Mio. €

Die Scorecard Methode

Die Scorecard Methode wurde von dem Investor Bill Payne entwickelt und stellt vor allem bei Business Angels ein sehr beliebtes Bewertungsinstrument dar. Das Bewertungsverfahren wird an anderer Stelle auch als Benchmark Method oder Bill Payne Method bezeichnet und eignet sich insbesondere zur Wertbestimmung von Startups in der Frühphase, die noch keinen Umsatz generieren. Seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 2001 wurde die Scorecard Methode mehrfach angepasst. In der aktuellen Fassung wird in einem ersten Schritt innerhalb des Bewertungsprozesses ein Basiswert festgelegt, indem der Durchschnitt der Pre-Money-Bewertungen vergleichbarer Unternehmen berechnet wird. Hier ergeben sich natürlich ähnliche Herausforderungen, wie schon bei der Risk Summation Factor Methode. Im zweiten Schritt wird das zu bewertende Startup mit Unternehmen aus seiner Peer-Group hinsichtlich mehrerer qualitativer Parameter, denen das Bewertungsverfahren eine unterschiedliche Gewichtung zuweist, verglichen. Dabei werden zentrale Bewertungskriterien (z.B. Team, Produkt oder Wettbewerbssituation) eines Startups auf einer individuellen Werteskala von null Prozent bis maximal dreißig Prozent gewichtet. Im Anschluss daran werden die individuellen Charakteristika des zu bewertenden Unternehmens einbezogen, indem auf einen Basiswert von einhundert Prozent Zuschläge beziehungsweise Abschläge vorgenommen werden. Das Produkt aus der Gewichtung der qualitativen Parameter und dem prozentualen Vergleichsfaktor des Startups bildet einen weiteren Faktor, welcher im Nachgang aufsummiert und mit dem durchschnittlichen Pre-Money-Wert vergleichbarer Unternehmen aus Schritt eins multipliziert wird.

Die Venture Capital Methode

Die Venture-Capital Methode wurde ursprünglich von Sahlmann und Scherlis im Jahr 1987 entwickelt und lässt sich unter den situationsspezifischen Bewertungsverfahren subsumieren. Im ersten Prozessschritt dieser Methode schätzt der Investor auf Grundlage verfügbarer Multiplikatoren und einer Bezugskennzahl (wie dem Umsatz oder dem EBIT) einen zukünftigen Wert (Future Value) zum geplanten Desinvestitionszeitpunkt. Dieser potentielle Exit-Wert wird anschließend mit dem Risikokapitalzins (Internal Rate of Return), der die Renditeerwartung des Investors widerspiegelt, über die Dauer der Beteiligung diskontiert. Die Beteiligungsdauer bewegt sich dabei üblicherweise im Bereich von zwei bis fünf Jahren. In Hinblick auf die Renditeerwartung pro Jahr (p.a.) nennen empirische und praxisnahe Quellen übereinstimmend einen Wert in Höhe von 60% als durchschnittlichen Risikokapitalzins für deutsche Startups in der Frühphase. Das Ergebnis dieser Rechnung ist der heutige Unternehmenswert (Present Value), wobei berücksichtigt werden muss, dass es sich hierbei um einen Post-Money-Wert handelt. Im letzten Schritt wird der Unternehmensanteil berechnet, den die Investoren für ihre Kapitaleinbringung erhalten, indem die Investitionssumme durch den Present Value nach der Post-Money-Bewertung dividiert wird. Die unten aufgezeigte Berechnungsformel stellt die einfachste Form der Venture Capital Methode dar. Komplexere Veränderungen in der Gesellschafterstruktur, die Verwässerungseffekte zur Folge haben, wie zum Beispiel weitere geplante Finanzierungsrunden oder die Einführung eines Phantom Stock-Programms können durch Anpassungen in der Formel ebenfalls eingepreist werden.

Die First Chicago Methode

Die First Chicago Methode wurde von der First Chicago Corp’s entwickelt und stellt eine sinnvolle Erweiterung der Venture Capital Methode dar. Die Vorgehensweisen beider Bewertungsverfahren ähneln einander sehr, jedoch werden bei der First Chicago Methode unterschiedliche Erfolgsszenarien (Best-, Base-, Worst-Case-Szenario) berücksichtigt und in Hinblick auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit gewichtet. Hierdurch wurde ein wesentlicher Schwachpunkt der Venture Capital Methode (die fehlende Berücksichtigung abweichender Entwicklungen) behoben. Die Einbeziehung unterschiedlicher Erfolgsszenarien orientiert sich daher eher an der Realität und erlaubt einen differenzierteren Blick auf den Wert des Startups. Im Gegenzug muss jedoch berücksichtigt werden, dass die aussagekräftige Einschätzung der verschiedenen Szenarien und ihrer Gewichtung einen zusätzlichen, extensiven Rechercheaufwand zur Folge haben. In der nachfolgenden Abbildung wurde eine detaillierte Beispielrechnung mit der First Chicago Methode durchgeführt, um die Vorgehensweise dieses Bewertungsverfahrens zu veranschaulichen.

Auf einen Blick

  • Die Herausforderung bei der Bewertung von Startups besteht darin, dass vergangenheits- und gegenwartsbezogene Daten nicht oder nur unzureichend vorliegen, zukünftige Ertragsniveaus und Cashflows klar unsicherer sind als bei etablierten Unternehmen und auch einschlägige Vergleichsunternehmen kaum zu beobachten sind
  • In der Praxis haben sich daher pragmatisch orientierte Bewertungsverfahren etabliert, um den Wert eines Startups anhand der verfügbaren Informationen bestmöglich zu schätzen
  • Die Daumenregel, die Berkus Methode, die Risk Factor Summation Methode, die Scorecard Methode, die Venture Capital Methode und die First Chicago Methode sind aktuelle gebräuchliche Verfahren zur Bewertung von Startups